Fachbeiträge

Nachfolgend finden Sie aktuelle Fachbeiträge aus dem Vorstand und von unseren Mitgliedern.

Digitale Intuition und kritische Pädagogik für eine sozio-technische Gerechtigkeit

Auftakt zur Reihe: Reviews von Lehrmitteln

Autorin: Franziska Hasselmann, Vorstandsmitglied SVWR

Zusammenfassung
Jugendliche nutzen Plattformen wie TikTok, Instagram und Wattpad, um sich über Bücher zu informieren und auszutauschen. Die Forschung hat vier Pfade der digitalen Teilhabe identifiziert: Einsamkeit führt zur Online-literarischen Verwandtschaft, Neugier zur literarischen Intuition, Freundeskreise zur literarischen Intimität, und soziale Gerechtigkeit zum literarischen Aktivismus. Diese Routen sind flexibel und basieren auf individuellen Erfahrungen. Eine kritische Pädagogik wird empfohlen, um digitale Intuition zu fördern, Machtverhältnisse zu erkennen und sozio-technische Gerechtigkeit zu erreichen.

Jugendliche (13 bis 23 Jahre) nutzen das Internet, um sich über Bücher zu informieren und auszutauschen, insbesondere über Plattformen wie TikTok, Instagram und Wattpad. Die phänomenologische Forschung hat vier Pfade der digitalen Teilhabe identifiziert:

- Pfad 1: Von Zuhause zur Online-literarischen Verwandtschaft.
Leserinnen und Leser, die sich zuhause literarisch isoliert fühlen, finden online eine Gemeinschaft, um aus der Einsamkeit herauszukommen.

- Pfad 2: Von der Schule zur Online-literarischen Intuition.
Angetrieben von schulischen Aufgaben, suchen Jugendliche online nach Buchinformationen und
entwickeln eine intuitive Art der Informationssuche.

- Pfad 3: Vom Freundeskreis zur Online-literarischen Intimität.
Junge Frauen teilen ihre Lektüren und Reaktionen auf Bücher sowohl offline als auch online, und
schaffen so enge literarische Gemeinschaften.

- Pfad 4: Von der Gemeinschaft zum literarischen Widerstand und digitalem Aktivismus. Leser, die soziale Gerechtigkeit suchen, nutzen digitale Plattformen, um gegen Ungleichheiten vorzugehen und literarischen Aktivismus zu betreiben.

Die Forschung unterstreicht, dass digitale Teilhabe nicht statisch ist, sondern sich je nach individuellen Erfahrungen verändert. Jenseits einer Orientierung an der vorherrschenden Mehrheit, welche durch die sog. ‘Aufmerksamkeitsökonomie’ und Algorithmen gebildet wird, kann Desorientierung kann dabei neue Wege des Umgangs mit Literatur und digitalen Systemen eröffnen. Eine kritische Pädagogik wird empfohlen, um digitale Intuition zu fördern, Machtverhältnisse zu erkennen und sozio-technische Gerechtigkeit zu erreichen. So wird analog zur literarischen Intuition und deren Strukturen Neugierde und Bewusstsein für digitale Strukturen geweckt.
Bildung in digitaler Intuition würde junge Menschen dazu befähigen, die digitalen Welten, in denen sie leben, zu durchdringen und kritisch zu hinterfragen. Das bedeutet:

- Neugierde wecken: Nicht nur für Bücher und Geschichten, sondern auch für die Strukturen und Funktionen digitaler Plattformen.

- Machtverhältnisse erkennen: Verstehen, wie Algorithmen und digitale Systeme ihre Entscheidungen und Erfahrungen beeinflussen.

- Kritisches Denken fördern: Fragen stellen, die die Positionen menschlicher und nicht-menschlicher Macht aufdecken, um zu erkennen, wie diese sich gegenseitig beeinflussen.

- Soziale Gerechtigkeit betonen: Eine Bildung, die sozio-technische Gerechtigkeit fördert und ein kritisches Bewusstsein über digitale Räume schafft.

Wirtschafts- und Rechtunterricht konkret:

- Pfad 2 – die Entwicklung einer Intuition bei der Suche nach Informationen
- Konzept der Aufmerksamkeitsökonomie
- Olson ‘Infernia’

Quelle:
Santa María, K. Rutten, C. Aliagas-Marín (2024), Youth's experiences with books: Orientations towards digital spaces of literary socialization. Poetics, Volume 104.

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